Der beste Gradmesser für die Entwicklung eines Landes ist wohl die Art, wie die Gesellschaft mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht.
Heute Morgen haben wir mit Hermano Sousa vom Projekt Nova Vida das Gefängnis Cadeia Publica des Staates Ceará besucht. Dieser Besuch hat uns zunächst schockiert, dann zutiefst berührt und traurig gemacht: Die ganzen Abartigkeiten dieser Welt, das ganze Elend, Gnadenlosigkeit und vor allem fehlende Menschenwürde sind hier unter einem Dach vereint.
Felipe, der Gefängnisleiter, führte uns herum. Seit kurzem, und das ist sein ganzer Stolz, gibt es vor den Gefängnismauern – natürlich auch mit Stacheldraht eingezäunt – ein paar lange Beete, in denen einige Insassen Obstbäume und Sträucher angepflanzt haben und diese versorgen. Sie ernten die Früchte für ihr Essen, das dadurch schon erheblich an Qualität gewinnt. Dieses Programm ist Bestandtteil des Projektes "Säen und Ernten", das vom Projekt Nova Vida auch mit den Insassen der hiesigen Gefängnisses umgesetzt wird. Hermano ist auch Rechtsanwalt und Menschenrechtsaktivist und kümmert sich seit Jahrzehnten um einen menschlicheren Umgang in den Gefängnissen der Umgebung. Und der Gemüse- und Obstgarten ist eine weitere Initiative.
Im Innenhof des Gefängnisses gibt es einen gepflegten Kräuter- und einen kleinen Obstgarten. Daran schließt sich ein kleines Hühnergehege an. Felipe – der Leiter – berichtete davon, dass die Gefangenen ihm immer wieder zurückmelden, wie bedeutsam diese Arbeiten in den Beeten und mit den Hühnern für sie sind. Zum einen empfinden sie dadurch ein wenig das Gefühl von Freiheit und zum anderen gibt ihnen diese Arbeit zumindest einen kleinen Teil ihrer Menschenwürde zurück: „Endlich nicht immer nur nutzlos sein“.
Der Gefängnisleiter berichtete sehr überzeugend davon, dass es auch für ihn nur Sinn macht diese Arbeit zu tun, wenn er für die Gefangenen als die sogenannten „Vergessenen der Gesellschaft“ etwas sinnvolles installieren kann, was ihnen eine Perspektive gibt, aus dem Teufelskreis des täglichen monotonen Gefängnisalltags auszubrechen.
Er selbst und seine Kollegen fühlen sich dabei vom Staat alleine gelassen: „Die Gefangenen erhalten ihr Urteil, kommen hier her und wir können sehen, wie wir mit ihnen klar kommen“.
Die Probleme im Gefängnis sind immens. Das Gefängnis hat Platz für ca. 130 Strafgefangene (Frauen und Männer). Es sind aber 270 Gefangene dort inhaftiert. Wir stehen vor einer der Zellen, die höchstens für 20 Menschen Platz hat. Hier sind jedoch 31 männliche Gefangene (Mann an Mann) eingesperrt. Auch ein sehr kranker Insasse, der nur noch eine halbe Lunge hat und mit Mundschutz versehen ist, sitzt zusammengekauert an der Wand. Zwei Mal wöchentlich dürfen diese Männer für zwei Stunden die Zelle verlassen, um endlich im Innenhof ein bisschen Sonnenlicht zu erhaschen. „Öfter geht es aus organisatorischen Gründen leider nicht“, erzählt der Leiter. Es sind noch mehr Gefangene da und leider kann man bestimmte Männergruppen nicht zusammen auf den Gefängnishof lassen. Sie würden sich dann gegenseitig umbringen.
Im Bereich für die Frauen bekommen wir Kontakt mit Alice. Sie sitzt in einem kleinen Innenhof zusammen mit ca. 15 anderen Frauen auf einem überdachten Betonklotz. Alice ist 22 Jahre alt und seit vier Tagen ist sie hier wegen Drogenkonsum und Waffenbesitz. Sie erklärt uns ganz nüchtern, ohne Umschweife, aber glaubhaft, dass sie von der Waffe nie Gebrauch gemacht hat und diese nur besitzt, um sich im Notfall zu verteidigen. In zwei Tagen hat sie ihre erste Verhandlung über das zu erwartende Strafmaß. Sie erzählte aber ganz hoffnungsvoll, dass die Tatsache, dass sie zwei kleine Kinder hat ihr vermutlich dabei hilft, das Strafmaß zu verringern. Sie habe Gott sei Dank auch einen Anwalt der sie dabei unterstützt. Etwas, was hier nur selten der Fall ist. Auf die Frage, wer sich denn um die Kinder kümmert, antwortete sie: „Meine Mutter, die Oma meiner Kinder. Mein Mann kann das leider nicht, er sitzt wegen Mordes für die nächsten zehn Jahre in einem anderen Gefängnis.
Wie dankbar können wir angesichts dieser Erfahrung für unsere persönliche Freiheit sein.
Ein Beitrag von Dorothee Render mit Fotos von Michael Rötker.
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Monika Lingenhoff (Freitag, 26 April 2019 17:03)
Ein sehr berührender Bericht.