Stickige Hitze wird durch zwei Ventilatoren vom Boden aus der 10 m2 kleinen Hütte vertrieben, Ortsteil Bode im Stadtteil Pina, im Süden von Recife.
Hier wohnt Verônica da Silva Lucena, 31, gemeinsam mit ihren beiden kleinen Töchtern und ihrem Ehemann. Noch geht das Leben irgendwie weiter. Alles geht seinen Gang, ohne die geringste Alternative. „Es ist nicht auszuhalten hier. Es ist sehr, sehr heiß. Wir können nicht die ganze Zeit im Haus rumsitzen. Bitte kommen Sie herein und verschaffen Sie sich ihren eigenen Eindruck“, lädt Verônica uns ein.
Ein Leben in Pfahlbauten von Recife erlaubt keine Isolierung gegen das Coronavirus
Mit 35o C Innentemperatur ist es dort unerträglich, die Ventilation liegt bei null. Diese Holzhütten, die mit Latten in den Fluss Capibaribe gebohrt sind, sind ein Symbol für die Stadt. Es gibt nur eine Tür und ein kleines Fenster und die Sonne scheint unerbittlich auf Menschen, die dort ihr Leben fristen. Es reiht sich eine Hütte an die andere und das verschlimmert die Situation.
Draußen kocht Fábio Lucas, 22, Meeresfrüchte in der Hoffnung sich etwas Geld damit zu verdienen. „Wird draußen über Feuern gekocht, ist es hier drinnen noch heißer, weil wir die Fenster schließen müssen um den Rauch draußen zu halten. Dann wird es noch schlimmer“, bemerkt Verônica.
Die Bewohner hier wissen um die Gefährlichkeit des Coronavirus. Resigniert leiden sie doppelt. Im Bundesstaat Pernambuco gibt es bis zur Stunde 95 bestätigte Fälle von Infektionen mit dem Covid-19; acht Menschen sind ihm bereits zum Opfer gefallen.
Allein in Bode leben an einer Seite des Flusses 600 Menschen in Hütten auf Stelzen. 87 % der Betroffenen verfügen weder über Leitungswasser noch sind die Haushalte mit irgendwelchen notwendigen Strukturen ausgestattet.
Die Datenerhebung wurde von der Bundesuniversität von Pernambuco (UFPE) in Zusammenarbeit mit dem Kollektiv Brot und Farbe durchgeführt. Das Kollektiv bildet sich aus Sozialaktivisten und lokalen Graffitikünstlern.
Dort, wo einzig dünne Bretterwände das eine Leben vom anderen trennen, fristet Eliane Maria da Silva, 58, ihr Dasein. Sie leidet unter Asthma und Bluthochdruck; unmöglich sich den ganzen Tag auf wenigen Quadratmetern umgeben von vier Bretterwänden aufzuhalten. „Die Hitze hier drin ist nicht auszuhalten. Ich muss rausgehen um atmen zu können. Ständig gehe ich zur Wassertonne um mich abzukühlen. Es ist nicht zu ertragen.“ Am Samstag dem 29. März wurde sie durch einen Stromausfall aufgeschreckt. Das für sie lebensnotwendige Inhaliergerät funktionierte nicht. „Es fühlte sich an als müsse ich sterben. Für uns hier ist alles viel schwieriger. Wir leiden doppelt so stark. Schauen sie sich meine Arme an, ich bin voller Ausschlag. Das kommt alles von der Hitze.“ Vor dem Fernseher knubbeln sich die vielen Kinder von der Straße. „Ich sehe, dass unser Präsident Reden hält, aber worüber er spricht, weiß ich nicht“, meint die Tochter.
In der Nähe von Elianes Hütte stehen die Menschen dicht an dicht. Keine Spur von sozialer Distanz, die von der WHO empfohlen ist. Abwasser läuft unter freiem Himmel mitten über die Straße, überall liegt Müll herum, Freunde trinken an der Eckkneipe, Arbeiter der Stadtverwaltung werkeln auf einer Baustelle und Kinder laufen von einer Seite zur anderen. Das ist das Bild, welches sich uns bietet.
„Unter den aktuellen Umständen in den Pfahlbauten leben zu müssen ist unmenschlich. Die Hitze ist nicht auszuhalten. An manchen Orten leben zwölf Menschen auf engstem Raum. Ausweichmöglichkeiten gibt es nicht“, merkt die hier tätige Gesundheitshelferin Sheila Cristina an. Auf dem Bordstein verhilft ein Ventilator einigen Jugendlichen und Kindern für Erfrischung, die sich um ein Handy drängeln. „Hier gibt es keine Abwechslung. Die Hitze hält alles im Griff. Für die Kinder ist es besonders schlimm, weil sie sich zuhause gar nicht sinnvoll beschäftigen können. Für sie existiert leider nur das Leben auf der Straße“, erklärt Paulo de Oliveira vom örtlichen Jugendamt. Er ist hier geboren und lebt hier seit 40 Jahren. Ein einziger Wasserschlauch füllt die unzähligen Eimer der Anwohner. Nicht jeden Tag gibt es Wasser. Der Gouverneur von Pernambuco hat versprochen mehr Wassertankwagen in die unterversorgten Regionen zu schicken. Der Sozialarbeiter Pedro Stilo organisiert die Zusammenarbeit zwischen dem Kollektiv Brot und Farbe und die Bücherstelle Brincante do Pina, zwei in Bode funktionierenden Sozialprojekte und klebt gerade gemeinsam mit Freunden Gedichte an die Türen der Pfahlbauten.
An vielen anderen Türen kleben Hinweise der Stadtverwaltung von Recife wie man sich die Hände richtig wäscht oder sie mit Desinfektionsmittel einreibt. In vielen Häusern gibt es weder das eine noch das andere.
Pedro Stilo erklärt, dass Quarantäne in Favelas anderes funktioniert. „Die Menschen verlassen ihre Häuser nicht aus Vorsatz, sondern aus einem strukturellen Problem. Sie sind nicht mit den Rechten anderer ausgestattet. Hier ist alles viel schwieriger“, beurteilt Stilo.
Zusammen mit von Freunden hat er Menschen mobilisiert um an Hilfsbedürftige Lebensmittel und Hygienekits zu verteilen. In den Hochhäusern der Mittelschicht erfand Stilo den „Test der positiven Solidarität“. – „Wir veröffentlichen die Idee unter den Bewohnern eines Hauses und einer oder eine ist für das Sammeln der Materialien verantwortlich, die später hier verteilt werden. Alle Teilnehmer erhalten das „Siegel für Positive Solidarität“, erklärt er.
Die Stadtverwaltung von Recife informierte, dass nach Erhebung aus dem Jahr 2018 in Recife 4725 Haushalte existieren, die als prekär (rustikal oder improvisiert) eingestuft werden müssen. Darunter befinden sich die Pfahlbauten. Seit 2013 wurden nach Aussage der Stadt 20 neue Siedlungen mit 2363 Wohnungen für Bedürftige in Form von Wohnsiedlungen errichtet. Man schätzt, dass über 10.000 Menschen durch diese Bebauungen aus dem Elend geholt werden konnten.
Übersetzung: Alexander Weber
Folha de São Paulo, 2. April 2020
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